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Johann Friedrich August Baumann: Lebenslauf mit Kriegstagebuch 1870/71

Baumann (links) mit seinem Kumpel Lohbeck im Jahre 1907
Baumann (links) mit seinem Kumpel Lohbeck im Jahre 1907

Dieser Lebenslauf wurde uns freundlicherweise von seinem Urenkel, Dr.-Ing. Heinz Baumann zur Verfügung gestellt:

Am 31.Juli 1848 wurde ich zu Byfang, Bürgermeisterei Werden im Kreise Essen, geboren und zwar in der alten, von meinem Großvater gekauften katholischen Schule. Das Schulzimmer war die Werkstatt meines Onkels Wilhelm, welcher oft bis zu 5 Gesellen und Lehrlinge hatte und einer der ersten Schreinermeister im Kreise war. Es drechselte alle zu seiner Arbeit nötigen Sachen selbst, ebenso schnitt er seine Fourniere selbst und besorgte auch eigenhändig alle Anstreicher- und Polierarbeiten. Ein etwas verwachsener Onkel August war Schneidermeister und wohnte mit meinen Großeltern zusammen. Großvater (väterlicherseits) war Berginvalide; mein Vater war Bergmann, hatte aber schon die Anwartschaft auf eine Beamtenstellung.

Von der Großmutter wurde ich nun etwas sehr verwöhnt, auch Großvater hatte mich sehr gern. Der Großvater (mütterlicherseits) starb schon 1850, so dass ich ihn kaum gekannt, seine Frau, die Großmutter, wurde 98 Jahre alt und war, mir gegenüber, das gerade Gegenteil von Vaters Mutter.

Meine ersten Lebensjahre verlebte ich hiernach in der alten katholischen Schule zu Byfang, und auch als meine Eltern abzogen und für sich waren, weilte ich viel bei den Großeltern und besuchte auch von dort aus (vom Jahre 1854 – 1856) die katholische Schule daselbst. Die erste Fiebel hatte ich schon vor meinem Schulbeginn binnen. Zu dieser Zeit hatte ich mir mal Streichhölzer bei meinen Großeltern stiebitzt und wollte in einem nahegelegenen Wäldchen ein Feuerchen anzünden – ein Glück, dass das Laub zu feucht – wofür ich dann vom Großvater eine ordentliche Tracht Prügel erntete.

Als nun mein Vater auf dem neuen Schachte der Zeche Steingatt in Altendorf an der Ruhr in Dienst trat und wir deshalb dorhin zogen, musste ich nach Altendorf in die evangelische Schule. Hier, beim Lehrer Hackemann, wurden nun ganz andere Töne gepfiffen, als ich es in Byfang beim Lehrer Effmann kennengelernt. Bei letzterem war ich Nachbars Fritzchen gewesen, hier bei Hackmann war ich schlechtweg Fritz Baumann. Hatte ich nun in Byfang nie Hausarbeiten zu machen (ich musste hier schon die ABC-Schützen helfen) so ging es bei Hackemann mit Sturmschritt in's praktische Leben hinein. Für mein Alter war ich den Mitschülern weit voraus in allen Fächern, welche mir in Byfang, wo ich dem Lehrer Effmann stets auf der Breme? lag, spielend beigebracht worden. In Altendorf hieß es „Vogel friss oder stirb!“. Hier regierte der Stock. Als nun die ersten Herbstferien kamen, erhielten wir als Hausarbeiten ein Unmenge „Sachen“ auf, darunter auch das Lied „Zaget nicht, wenn Dunkelheiten auf des Lebens Pfaden ruhn“. Während der Ferien fragte meine Mutter oft „braucht ihr nichts zu lernen?“ (Mein Bruder Heirich sel. ging schon mit mir zur Schule). Oh weh, gaben wir zur Antwort, und lebten kreuzfidel der goldenen Freiheit. Als nun die Schule wieder begann, wurde ich von den Mitschülern gefragt, ob ich auch dies hätte und das Lied auswendig gelernt, schlug mir das Gewissen und ich und Heinrich uns seitwärts in die Büsche. Butterbrote hatten wir für den ganzen Tag mit, da der Weg zu weit war, um mittags zum Essen gehen zu können, und Obst war auf den Bauernhöfen ja auch schon viel reif. Das ging nun 2 Tage gut, am 3. Tag wurde uns die Zeit etwas lang und wir kamen schon mittags zu Hause an. Hier gaben wir der Mutter an, der Lehrer habe Conferenz. Am 4. Tag waren wir gerade am planen, wie wir den Tag verbringen sollten, da kam Cornelius und Lisette Behmken, die uns zu Hause abholen wollten, um uns mit zu Schule zu nehmen. Ich sagte dem etwa 4 – 5 Jahre älteren Cornelius: wenn er sich unterstehe und mich anrühre, schlüg ich ihn mit dem eisernen Lineal in's Gesicht. Dazu kam es nun zwar nicht, denn ehe ich mein Lineal erfasst, hatte Behmken mich schon beim Wickel und wollte mich nun mitzerren, wobei ihm Lisette behilflich war; aber sie sahen doch schließlich ein, dass sie das nicht fertig kriegten und ließen von uns ab. Nun war also die Sache faul; zu Hause wusste man jetzt Bescheid und in der Schule auch. Was nun? Also „zur Schule“, was kann da sein. Auf dem Schulplatz (wir hatten Bücher und Butterbrote schon an ihren Platz gebracht) wurden wir gehänselt und, da mir die Sache zu bunt wurde, bewog ich meinen Bruder Heinrich, wacker unsere Sachen wieder aus der Schule zu holen und damit schon abzuziehen, ich käme nach. Das glückte auch; als wir indessen in den Kaldenmorgenschen Feldern angekommen, kam der Lehrer Hackemann uns nachgerannt und rief „Baumann, komm mit zur Schule, Du kriegst keine Strafe!“ Ja Junge, dachte ich, so dumm! und ließ es ziehen. Auch das war geglückt; nun aber zu Hause! Hier half jetzt kein Lügen mehr, wir hatten 4 Tage die Schule geschwänzt, kriegten zwar keine Strafe vom Vater, mussten aber tags darauf den schriftlichen Nachweis vom Lehrer bringen, dass wir in der Schule gewesen. In der Schule verlief nun die erste Stunde „ohne Störung“; als aber die 1. Pause kam, mussten alle Schüler nach draussen, nur Heinrich und ich mussten drinnen bleiben. Jetzt hielt der Lehrer uns erst eine große „Pauke“, die damit endete, dass ich, als der Ältere, 32 raisonable Stockhiebe verabreicht erhielt und Heinrich dem zusehen musste. Geschadet haben mir nun diese Hiebe zwar nicht, aber besonderen Nutzen werden sie auch nicht gehabt haben. Auch ohne diese Prügel wäre ich ein guter Schüler geworden.

Schon Ende 1856 wurde mein Vater Schichtmeister auf der Zeche Charlotte und zogen wir nun nach dort in die Beamtenwohnung. Wir besuchten von hier noch 2 Jahre die Schule in Altendorf weiter, weil unsere Wohnung zur einen Hälfte in Altendorf, zu anderen Hälfte zwar in Überruhr lag. Hier war nun das „kalte Fieber“ endemisch und auch wir kamen an die Reihe. Ich weiss noch, dass ich fast ½ Jahr lang der einzige war, der gesund geblieben, während Vater, Mutter und 4 Geschwister krank darnieder lagen. Als nun Heinrich in der Schule eines Tages den Schüttelfrost kriegte, und ich dem Lehrer sagte, Heinrich habe das „kalte Fieber“, sagte er kurz angebunden: dann jag ihn nach Haus. Daraufhin kam es zu einer schriftlichen Auseinandersetzung zwischen meinem Vater und dem Lehrer Hackemann, mit dem Resultat, dass wir die Schule in Altendorf verließen und nach Überruhr zu Lehrer Pack in die Schule kamen. Dieser Tausch war nicht schlecht; denn Lehrer Pack war ein sehr tüchtiger Lehrer, der nur sehr wenig mit dem Stock regierte, dafür um so besser mit dem Herzen und durch sein Vorbild. Sein ganzes Leben und Streben war musterhaft. Er ging mit uns, den Schülern der Rechenabteilung 1a, zu der ich hier schon im Jahre 1861 gehörte, bis zur Algebra. Wir wurden in seiner Baumschule unterrichtet, mussten pfropfen und okulieren und dabei pflegte er den Gesang, dass es eine Lust war.

Baumann (links) mit seinem Kumpel Lohbeck im Jahre 1907
Abzug des Originallebenslaufes

Auf unserem Schulwege nach hier hatten wir zu Anfang viel zu leiden von dem Sohn Richard des Schichtmeisters Bonnermann auf der Zeche Mönkhoffsbank. Diese Zeche war versoffen und bezog dieser Bonnermann nun die Kohlen für seinen Bedarf von Charlotte, die ihm mein Vater zusenden musste, was mit der Transportpferdebahn nach dem Ruhrhafen geschah. Die Tagesarbeiter von Charlotte bemalten nun die Wagen mit dem Bildnis der Luise Bonnermann, welche schon an sich nicht schön zu nennen war und schrieben zur Erläuterung manch schönen Spruch an die Wagen. Das veranlasste nun den Schichtmeister Bonnermann a.D., meinem Vater schriftlich klar zu machen, dass die Zeche Charlotte wohl Kreide zu viel habe und werde er das dem Kreisgerichtsrat Heinzmann, welcher Vorsitzender des Grubenvorstandes der Zeche Charlotte war, diese Malerei mal anzeigen, worauf mein Vater antwortete: „Er habe anderes zu tun, als hinter dieser Blagerei herzulaufen, und der Weg zu Kreisgerichtsrat Heinzmann ginge über die Heerstr. nach Essen.“ Nun war dem Kalb in's Auge geschlagen und wir wussten uns vor dem Richard Bonnermann auf unserem Schulweg nicht mehr zu retten. Seiner Bedrohung mit Wasser und eisernem Lineal mussten wir auf Umwegen suchen zu entgehen, denn wir durften keinem Kinde etwas antun, uns auch nicht wehren, sondern sollten fortlaufen. Wir beklagten uns nun bei der Mutter, wenn wir zu spät aus der Schule nach Haus kamen, bis die dann eines Tages dem Vater klar gemacht, dass dem ein Ende gemacht werden müsse. Als wir nun mal wieder von dem Richard in die Mache genommen waren, wobei mein Bruder Heinrich seinen Teil abgekriegt und ich dem Vater dies klagte, sagte er: „Nun komm mir nicht noch einmal und beklag dich; du bist nochmal so stark wie der splitterige Bonnermann (derselbe war so alt wie ich), und wenn du mit dem Bengel nicht fertig wirst, dann kriegst du hier noch extra deine Prügel. Na, mehr brauchte ich nicht zu wissen; schon am anderen Abend hatte ich den uns bei Drögen Hof auflauernden Richard in 0,0 derart vermöbelt und in die Wagenrinne herumgedreht, dass er, laut brüllend, zum Lehrer lief. Dieser gab ihm nun einen älteren Schüler, Fritz Schuster, mit, um uns zurückzuholen. Als die uns erreichten, und wir ihrer Aufforderung nicht folgten, sollte Fritz Schuster mich greifen, was dieser aber nicht tat – er sah mich in meiner Kampfstellung mit meinem eisernen Lineal in der Hand eine kurze Zeit an und verschwand. Richard B. aber folgte uns bis zu Hause, wurde aber hier, trotz seines bemitleidenswerten Aussehens, von meinem Vater die Treppe herunter komplimentiert und wir wurden, nachdem ihm meine Handschrift klar geworden, gute Freunde.

Im Januar 1862 verzogen wir von Zeche Charlotte nach Zeche Johann bei Steele, wo mein Vater zunächst wieder die Stelle eines Schichtmeisters und Rechnungsführers erhielt. Ich musste nun die Elementarschule in Königsteele noch ½ Jahr besuchen, habe aber in dieser Zeit nichts hinzugelernt und erhielt dann meine Schulentlassung. Nun ging ich zuerst zur Glasfabrik, um das Glasblasen zu erlernen, als ich aber hier nicht zugelassen sondern in die Tonmühle gesteckt wurde, ging ich ab und trat am 8. August 1862 als jugendlicher Bergarbeiter auf Zeche Johann ein. Hier tat ich noch eine Woche Botendienste etc. und fuhr dann mit in die Grube, wurde von Heinrich Gierig als Bremser angelernt und verdiente pro Schicht 1 Mark (10 Silbergroschen). Als der Herbst kam, musste ich wöchentlich 2 mal in den Konfirmandenunterricht um zum nächsten Ostern konfirmiert zu werden und zweimal nach Überruhr in die Abendschule beim Lehrer Pack. Dieser Lehrer Pack gab für 75 Pfg. monatlich, wöchentlich 2 Stunden (d.h. 2x2 Stunden) und lehrte Geographie, Rechnen - auch Algebra – und Deutsch in Sprache und Schrift, sowie Französisch nach Plötz. Im Jahre 1863, als ich konfirmiert war, ging der alte Grubenverwalter Zimmermann ab von Zeche Johann und ein junger Bergschüler „Oertgen“ trat nun diese Stelle an. Als der Repräsentant der Zeche nun einsah, dass dieser Griff verkehrt, musste mein Vater die Stelle als 1. Steiger übernehmen; dies passte dem Oertgen nicht und ging ab. Dafür trat ein Herr Hesselmann diese Stelle an. Inzwischen war ich auf Zeche Bonifazius als Schlepper angefahren und hatte hier das Unglück, in einen Bremsberg abzustürzen – etwa 30 m bei 50 Grad Einfallen – wobei mir der Schädel links etwa 8 cm lang eingedrückt, zertrümmert wurde und ich besinnungslos zu Tage gefördert wurde. Wenn ich nicht mit den Beinen hängengeblieben und noch weitere 30 m gefallen wäre, würde ich wohl tot unten angekommen sein.

Ich kehrte nun von Bonifazius ab und fuhr auf Zeche Eintracht an. Als ich hier etwa 14 Monate geschleppt, ging ich, auf Wunsch des Grubenverwalters Hesselmann, wieder nach Zeche Johann als Schlepper. Nun wurden eines Tages die Gedinge heruntergesetzt und 8 der stärksten Schlepper legten ihre Arbeit nieder, nach 14tägiger Kündigung. Die schwerste Schlepperei: 3 Diagonalen, ein Haspelberg und ein söhliges Stück „auf Latten“, erhielt ich nun, unter der Bedingung, sobald der letzte Pfeiler oben verhauen, ich zum Lehrhauer aufsteigen würde, was dann auch anfangs 1866 eintraf. Ich erhielt nun, als 1. Lehrmeister, den Hauer Johann Schwedtmann, der mich in jeder Hinsicht gut anlernte, musste aber eines Tages bei dem Hauer Diedrich anfahren, dessen Sohn Soldat werden musste. Dann erhielt ich kurze Zeit den Kameraden Cleff, ein wahres Angsthuhn und ein schlapper Mensch, so dass die wichtigsten Arbeiten stets mir zufielen – er hatte stets Kreuzschmerzen - .

Nach dem Kriege 1866 wurden nun die Steeler Jungens fast alle ausgehoben zum Dienen in Schleswig-Holstein, wo seinerzeit die Malaria endemisch herrschte. Diese elende Krankheit hatten wir auf Zeche Charlotte nur zu reichlich kennen gelernt (das Gehalt meines Vaters (22 Taler) bekam zeitweise ganz und gar der Arzt und Apotheker und wenn wir nicht Land und Garten, Hühner, Ziegen und Schweine gehabt, hätten wir wohl die Zähne in die Wand schlagen können. Um nun nicht im Jahre 1868 auch nach dort eingezogen zu werden, entschloss ich mich, freiwillig, und zwar bei den 15. Husaren in Düsseldorf einzutreten. Hier hatte man aber schon 3 überzählige Freiwillige. So fuhr ich denn nach Wesel, wo Pioniere liegen sollten, um bei diesen einzutreten, wurde aber, auf Parol e, von dem Hauptmann Wolters, 4.Cie 53, und dem Obersten von Manteuffel, Kommandeur des 5. westf. Infanterie-Regiments gestellt und bewogen, bei diesem Regiment einzutreten, was ich denn auch vom 1. Januar 1868 tat. Hier hatte ich zunächst eine sehr humane Ausbildung, auch nachher war ich sehr bevorzugt von Hauptmann und Feldwebel, wurde im Sommer Fahrtenschwimmer, erhielt die 1. Schießprämie der 3. Schießklasse, wurde im Pionierdienst ausgebildet und im Manöver im Herbst als Ordonanz beim Stabe einquartiert. Schon während der Marsch- und Felddienstübungen wurde ich durch meinen Gesang und die stete Hülfsbereitschaft schwächeren Kameraden gegenüber, dem Hauptmann Wolters sein Liebling. Einmal, als ich mit dem Gefreiten Ed. Dachmann einem Crefelder, namens Steckelbruch, Gewehr und sogar schließlich auch Tornister trug, sagte der Hauptmann zu mir: „Baumann, nehmen Sie den verhungerten Crefelder noch dabei auf den Nacken.“

Als aber eines Tages meine Eltern mich besuchten und wir auf dem Kasernenhof angetreten und die Honneurs durchgenommen wurden, ließ der Hauptmann die 3jährigen Freiwilligen vortreten und erklärte den einen, Meino Weiß, für'n Schmutzhammel, Saueressig für'n Windhund, Wienand für'n Schlumpschützen „aber der Baumann wird gut, daraus lässt sich was machen, wer hat den? Sergeant Schwarzmeier! So, halten Sie ihn gut, es lohnt sich!“ Das passte aber nun einem alten Sergeanten Müller nicht, denn, als wir wieder eingetreten und grüßend vorbeimarschierten, vertrat er mir den Weg und sagte: Bilden Sie sich nur nichts ein, Sie Windbeutel, so lange ich in der Kompanie bin, werden Sie nchts. Trotzdem wurde ich zum Gefreiten befördert und gleich nach Manöver als Wachthabender auf Lazarettwache und dann Patrouille auf Rheintorwache verwandt. Unser Hauptmann war nach Manöver gleich in Urlaub gefahren zur Jagd.

Zu dieser Zeit kam ein Batallions-Befehl: „Wer Lust hätte, Lazaratt-Gehilfe zu werden, solle sich melden.“ Ich trat vor und wurde mit 4 anderen zu Oberarzt Dr. Lindner geschickt. Der prüfte uns der Reihe nach im Rechnen und Schreiben und sagte dann zu den anderen, sie könnten abtreten, sie würden eventuell Bescheid bekommen. Dann fragte er mich, weshalb ich mich gemeldet? Als ich ihm dann sagte, ich hoffe, später Grubenbeamter zu werden und da könnte mir diese Ausbildung von Nutzen sein, fragte er, ob ich auch noch glaube, den erkrankten Kameraden ein guter Pfleger zu werden und ich dies bejahte, wurde ich eingestellt. Ich wurde dann zur Ausbildung als Laz.-Gehilfe zum Lazarett kommandiert und musste schriftliche Arbeiten erledigen, hatte innere und äußere Augenstation sowie die Apotheke zu verwalten. Als wir schon die Reg.Nr. versoffen, die Res.-Bilder und Pfeifen fertig waren, kam am 16.Juli 1870 der Befehl: „Von heute ab ist das Reg. Nr. 53 mobil. 1. Garnitur empfangen, Säbel schleifen, Kasernement räumen für das Ersatz-Batallion, dann abrücken nach Bislich. Am 19. Juli 1870 musste ich auf Kommando zum Abholen der Reservisten aus Grefrath und Solingen. Von hier aus besuchte ich einen Großonkel namens Pfannkuch, 94 Jahre alt. Der alte Bauer drückte mir ein 3-Thaler-Stück in die Hand und sagte mir: „Nun halte Gott vor Augen und uns die Franzosen vom Leibe.“ Als der Transport nun in Wesel abgeliefert und ich wieder bei der Kompanie war, hieß es: „Morgen abrücken nach Wesel.“ Am 25. Juli wurden wir in aller Frühe zum Bahnhof verladen, fuhren über Oberhausen, Rheinhausen (mit dem Trajekt über den Rhein) bis Aachen, hier Quartier und 1. Ruhetag.

26.7.1870 Marsch von Aachen über Kornelimünster, Roetgen, Imgenbruch nach Monschau
27.7. Marsch von Monschau über Hofen nach Krinkelt
28.7. Von Krinkelt nach Prüm (sehr gutes Quartier beim Rektor)
29.7. Von Prüm nach Burbach
30.7. Morgens Alarm und Marsch über Bitburg nach Dockendorf
31.7. Marsch nach Niederweiß
1.8. Ruhe
2.8. Morgens 1 Uhr Alarm und Marsch über Trier (Rendez-Vous in einer Wiese zum Abkochen), dann weiter nach Waldringen, Ankunft 11 Uhr abends
3.8. Marsch nach Hambach
4.8. Marsch nach Rümmelbach
5.8. Ruhe (auf der Wiese geschlafen), Feldgottesdienst, heil. Abendmahl, Bekanntgabe des Sieges bei Weissenburg
6.8. Morgens 5 Uhr Alarm und Abmarsch über Lehbach, Eiweiler, Hennweiler, Saarbrücken. Sollten hier Quartier beziehen, hatten schon Kochlöcher gegraben, erhielten Befehl zum Weitermarsch, hörten schon Kanonenschüsse und waren bald in ein mörderisches Gefecht bei Stieringen verwickelt. Leutnant Müser wurde schon beim Vorgehen verwundet und rief mich heran, hatte aber nur eine leichte Fleischwunde am linken Oberschenkel. Von unserer 4. Komp. wurde noch der Leutnant Wienhold sehr leicht an der li. Schulter verwundet, außerdem hatten wir einige Tote und Verwundete. Unserem Komp.-Führer Leutnant Kehl I. wurde 1 Sporn weggeschossen.
7.8. Bywak auf dem Schlachtfelde. Ich hatte die ganze Nacht hindurch die Verwundeten-Transporte nach Saarbrücken und St. Johann begleitet.
8.8. Marsch über Forbach-Morsbach nach Völklingen auf Feldwache.
9.8. Abgelöst und zurück in Bywak bei Morsbach
10.8. Marsch über Großrosseln längs der Grenze in's Biwak bei Carling
11.8. Ruhe
12.8. Marsch über Carling, St. Avold, Longville ins Biwak bei Beonville
13.8. Marsch über Fouligny, Raville, Sevigny b. Raville, Frecourt, Berlize in's Biwak bei Pange
14.8. Nachm. 3 Uhr Alarm und schweres Gefecht bei Colombey. Hier fiel auch u.a. unser Komp.-Führer Leutnant Kehl I aus Essen.
15.8. Ruhe im alten Lager
16.8. Marsch über Sauri sur Nied und Aube in's Biwak bei l'Hopital
17.8 Morgens 5 Uhr Alarm und Marsch über Arba und Corny, Ars sur Moselle; steile Berge erklettert, die Franzosen im Lager beunruhigt (1 Mann gefallen: Hesselmann)
18.8 In derselben Stellung an der Mance-Schlucht, Schlacht bei Gravelotte (2 Offz., Kehl von Wesel und Leutnant Besserer, Armschuss und 30 Mann)
19.8. Brot empfangen, nachdem wir 3 Tage keins gesehen und dann das große Corpsbiwak auf dem Schlachtfelde bezogen.
20.8. Ruhe daselbst
21.8. Marsch nach Dornot zur Bedeckung der Corps-Artillerie, Quartier mit sehr gutem Wein
22.8. Ruhe, 12 Uhr nachts Alarm und bis morgens 7 Uhr in Alarmstellung verharrt
23.8. Ruhe, nachm. 7 Uhr Abmarsch nach Aury zur Bedeckung des Corps-Magazins
24.-27.8. in Aury logiert
27.8. nachm. 5 Uhr Marsch nach Pouilly
28.8. morgens, als der Nebel sich etwas verzogen, vom Fort Quelen mit schweren Granaten beschossen, Biwak verlegt hinter Pouilly
29.8. Ruhe im Lager
30.8. Ruhe im Lager
1.9. Schlacht bei Noihseville zur Deckung der Corps-Artillerie, kenen Mann verloren
2.9. Ruhe, Bekanntwerden der Gefangennahme Napoleons
3.9. Auf Feldwache bis 7.9., immer Regen
8.9.morgens 3 Uhr abgelöst, zurück in's alte Biwak
9.9. Abends 6 Uhr Alarmstellung eingenommen, abscheuliches Regenwetter mit schweren Gewittern und schreckliche Kanonade auf Metz
10.9. Mittags 1 Uhr Abmarsch nach Fleury, die Komp. In einem Hause
11.9. Ruhe in Fleury
12.9. Marsch nach Marly, 2 Tage auf Feldwache, 2 Tage in Replie
16. u. 17.9. Quartier in Marly
18.9. Morgens 7 Uhr Marsch über Biwak bei Pouilly, dann Weitermarsch nach Chevisey
19.9.-21.9. Nichts Besonderes
22.9. nachm. 1 Uhr Alarm, abends 6 Uhr zurück
23.9. abends 6 Uhr Alarm und Gefechtsaufstellung bei Chevalrouge, 9 Uhr zurück
24.9. Marsch von Chevisey nach Pouilly ins Biwak
25. u. 26.9. Nichts Neues
27.9. abends 10 Uhr Alarm und Marsch zur Verstärkung d. Vorposten bei Peltre, das Dorf verbrannt, weil die Bewohner unsere Feldwache verraten, welche in Gefangenschaft geriet
28.9. Auf Vorposten bei Peltre
30.9. Ruhe in Pouilly
1.10. mittags 12 Uhr Abmarsch nach Laquenexy ins Quartier, ich halb kaputt an rote Ruhr
2.10. Nichts Neues
7.10. Alarm und Stellung bei Merzilly, abends 8 Uhr zurück
8.-9.10.Nichts Neues
10.10. vormittags 10 Uhr Abmarsch nach Chevillon zur Bedeckung der Corpsartillerie. In Courcelles-Chancy war noch Bier zu haben
11.10.-19.10. nichts Besonderes, wenn auch fortwährend Schüsse fielen. Eines Abends im Kreise von Feldwebeln und Unteroffizieren ein Fass Bier getrunken, August Riering bekneipt
20.10. mittags 2 Uhr nach Montoy in erster Linie der Vorposten, die Vorposten bis zum Bauch im Lehmwasser
21.-24.10. nichts Neues
25. u. 26.10. auf Vorposten
27.10. Alarm und Quartier (Scheune in Montoy)
28.10. morgens 9 Uhr großer Jubel bei der Bekanntgabe der Kapitulation von Metz, 11 Uhr Einrücken der Truppen
29.10. Marsch nach Ogy
30.10. Ruhe, die geflohenen Bewohner kehrten aus Metz zurück
31.10. vorm. 11 Uhr ins Biwak bei Ars-Laquenexy, Bewachung des Gefangenenlagers
1.11. mittags abgelöst, die ganze Komp. In einem leeren Haus campiert. Böser, sehr kalter Regen
2.11. zurück nach Ogy
3.11. Ruhe
4.11. wieder zur Bewachung der Franzosen bei Ars-Laquenexy
5.11. Quartiere daselbst
6.11. Marsch nach Maison-Landremont (sehr kalt)
7.11. Ruhe, Marschordre nach Thionville
8.11. Marsch nach Platange
9.11. Marsch nach Guenange (bien dormie dans une lye?)
10.11.u.12.11. Nicht Neues
13.11. nach Volkrange bei Thionville in einem unbewohnten Haus. 2 junge Mädchen vom Typhus kuriert, dafür reichlich Apfelkuchen gegessen
14.-18.11. Nichts Neues. Parallelen ausgebaut 800 Schritt vor den Wällen
19.11. Komp. Zum Einfahren der Geschütze kommandiert, mit schweren Granaten beschossen: die Artillerie 5 Mann und 4 Pferde verloren
20.u.21.11. nichts Neues
22.11. morgens 8 Uhr Beginn der Beschießung von Thionville. Abends 8 Uhr unser I. Batt. und Pioniere zum Ausbau der Parllelen, Thionville in Flammen, noch fortwährend über unsere Köpfe beschossen. Böser Regen. Die Besatzung steckte weiße Fahnen heraus und erbat Abzug der Frauen und Kinder. Abgelehnt.
24.11. mittags wurden wieder weiße Fahnen sichtbar, wir wollten aber die Parallelen ausbauen und die Festung stürmen. Aber die Festung kapitulierte.
25.11. Ruhe, nachm. in die Festung gegangen, unsere Artillerie hatte durch die Kirchturmuhr geschossen
26.11. Abmarsch nach Longwy
27.11. Marsch nach Fillieres
28.11. Marsch nach Beuvelles, bei einem Wirt gut geschlafen
29.11. Marsch nach Cheniéres bei Longwy
30.11. nichts Neues
1.12. Patrouillen-Gefecht (ein Mann verwundet)
2.-3.12. nichts Neues
4.12. Marsch nach Beuvelle zurück
5.12. Marsch nach Loguyon, schönes Städtchen. Messer verloren und wieder gekauft und auch verloren.
6.12.-10.12. nichts Neues
11.12. Marsch nach Beuvelle
12.12.u.13.12. Nichts Neues
14. 12. Gerüchte von der Capitulation von Montmedy und Marschordre nach Mezieres
15.12. Marsch nach Merles
16.12. Marsch nach Savigny bei Stenay
18.12. Marsch nach Voignes aux bois über Bazeilles, total abgebrannt, ½ Stunde von Sedan
19.12. Marsch nach Cons la Grandville, in 2ter Linie vor Mezieres
20.12. nichts Neues
21.12. Rekognoszierung, 2mal heftiges Feuer bekommen, aber niemand verwundet.
22.-24.12. Jede Nacht im Alarmhause
25.12. bei Nouhson, 1. Komp. 5 Verwundete bei Rekognoszierungs-Gefecht
26.12. 3 Verwundete nach Sedan gebracht
27.12. Von Sedan zurück, für die Offiziere des Batallions Delikatessen mitgebracht, in Aiglemont bei der Komp. angelangt, bis 30.12. nichts Neues, abends eine Rekognoszierung im tiefsten Schnee, bis dicht an eine Feldschanze, halb erfroren.
31.12. morgens Beginn des Bombardements auf Mezieres, nachts 12 Uhr Neujahrsschießen
1.1.71 Furchtbarer Brand der Stadt, nachm. Kapitulation der Festung
2.1. morgens Einmarsch in Mezieres. In der Zitadelle-Kaserne zwischen toten und besoffenen Franzosen campiert.
3.1. in das Präfektur-Gebäude eingezogen
4.1. Alles besoffen vom besten Wein
5.1. Spaziergang nach Charleville, schöne Stadt am linken Maasufer
6.1. mittags 12 Uhr Marsch nach Boulzicourt, per Bahn nach Vitry befördert, Zuteilung zur Maas-Armee (Kronprinz von Sachsen), wurden aber erst am abend
7.1. verladen und fuhren über Rethel nach Reims, kamen hier am
8.1. morgens 5 uhr an, stiegen aus und erhielten Bouillon. d.h. Salzwasser mit Brot, das Fett frassen auch schon damals die Lieferanten und Bagagehelden. Dann weiter gefahren durch lange Tunnels über Eperney, Chalons, Vitry nach Chaumont, abends 9 Uhr ausgestiegen, im Maschinenschuppen Reis und Speck erhalten, dann weiter
9.1. Ankunft in Chatillon s/S., mittags 12 Uhr Marsch nach Courbon
10.-12.1. nichts Neues
13.1. Marsch nach Montigny, abends 6 Uhr weiter nach Dancevoir
14.1. Marsch nach Bagnieres bei Arc
15.1. Marsch nach Eriseul
16.1. Marsch nach Longeau, herrliche Liqueure und Champagner getrunken
17.1. Rekognoszierung gegen Langres im Schnee, 1.Komp. 1 Mann tot
18.1. Marsch nach Tornay
19.1. Marsch nach Brotte
20.1. Marsch nach Fretigney
21.1. Marsch nach Etuz, Kanonade
22.1. Ruhe
23.1. über St. Vit nach Routelle am Doubs
24.1. Marsch über St. Vit und Fraisans nach Salans
25.1. Marsch über den Doubs zurück nach Monteplain
26.1. Ruhe
27.1. von morgens 11 Uhr Bereithalten zum Abmarsch, 1 Uhr Abmarsch nach Samson
28.1. Marsch nach Amancey, immer der Arrieregarde Bourbattier auf den Fersen, die Franzosen liefen von ihren Posten und gaben sich zu Hunderten gefangen. Die Gewehre der Franzosen wurden verbrannt.
29.1. Morgens aus dem Quartier einer Gendarmen-Frau Abschied genommen und durch Schnee und Eis im Jura-Gebirge. Wir hatten die Avantgarde, unsere Husaren verjagten überall französische Vorposten. Am Mittag von allen Seiten Gewehrfeuer. Gegen Abend links von uns ein heftiges Gefecht, wir hörten Hurra-Rufe, die 77er Inf. hatten Bombacour gestürmt. Um 8 Uhr machten wir Halt, wir wurden in der Dunkelheit von einer Feldwache beschossen und legten uns in den Schnee. Dann schickte unsere Artillerie einige Granaten über uns weg, dann wurde es still. Gegen 10 Uhr kam der Befehl zum Vormarsch, alles ruhig, kein Laut zu hören. Auf einmal furchtbares Feuer aus den Häusern von Chaffois, wir gingen zu Sturm vor, eroberten auch das Dorf, hatten aber wieder unseren Komp.-Führer Plettenberg verloren, mehrere Mannschaften, 2 Unteroffiziere.
30.u.31.1. Ruhe
1.2.71 Übergang der Armee Bourbattier in die Schweiz, wir abends in Bulle im Quartier
2.2. Marsch nach Lemuy
3.2. Marsch nach Chaux sur Champagney
4.2. Marsch über Arbois nach Abergement le Grand
5.2. Ruhe
6.2. Marsch nach Nevy les Dole
7.2. Marsch nach Champvans über Dole
8.2. Marsch nach Bonnencontre
9.2. Marsch nach Labergement les Seurre
10.2. Marsch nach Beaune, schöne Stadt, 8000 Einwohner. Von hier einmal nach Dijon gefahren, Medikamente geholt, schöne große Stadt.
21.2. Von Beaune zurück nach Savigny, weil Beaune innerhalb der Demarkationslinie lag. In Savigny ein gutes Quartier, täglich satt Rotwein. Von hier nach Bynon, Vorposten-Stellung, 2 Tage hier gelegen und vom besten Rotwein getrunken. Dann wieder nach Savigny, die Friedenspräliminarien sind unterzeichnet.
7.3. Morgens 9 Uhr tüchtiger Marsch im Regen über Ladone, Premeaux, Nuits, Vougeot, Gevrey nach Fixin
8.3. Marsch über Dijon nach Norge-la-Ville
9.3. Marsch über Til Chatel nach Veronnes
10.3. Ruhe
11.3. Marsch nach Prauthoy
12.3. über Maatz, Belmont nach Bussieres
13.3. über Charmoy Laferte
14.3. Ruhe
15.3. über Betoncourt, Vernois, Jussey nach Cendrecourt
16.3. im Schnee über Vauvillers nach Ambievillers
17.3. über Bains nach Naymont
18.3. Ruhe
19.3. über Èpinal nach Chavelot
20.3. über Nomexy-Chatel nach Portieux
21.3. über Charmes nach Bayon
22.3. Ankunft in Luneville, schöne Stadt. Zuerst bei Mr. Eplée im Quartier, dann in der Kadetten-Kaserne gelegen bis 26. Mai 71, dann nach Deutschland marschiert, in Moyenvic im Quartier
27.5. über Marsal, Dieuze nach Vergaville
28.5. nach Insming, alles deutsch
29.5. über Puttelange nach Guebenhouse
30.5. nach Ludweiler
31.5. durch Saarlouis nach Pachten
1.6. Ruhe
2.6. mittags verladen und am 3.6. nachmittags in Münster i/W. Angekommen
9.6. morgens 10 Uhr den Pass erhalten und 12 Uhr aus Münster gefahren

Dass ich während des Feldzuges nicht Unteroffizier geworden, habe ich unserem Batl.-Adjutanten Busch zu verdanken, dem ich auf seine Frage antwortete: es fiele mir gar nicht ein zu kapitulieren.

So war ich nun etwa 1 Jahr länger Soldat gewesen wie unter gewöhnlichen Umständen. Der Kursus an der Bochumer Bergschule war schon 7 Monate im Gange, so dass eine Aufnahme der heimkehrenden Krieger nicht mehr stattfand.

Ich nahm meine bergmännische Tätigkeit auf der Zeche Johann wieder auf, habe Bremsberge ausgebaut, Pumpen aus- und eingebaut, Strecken- und Querschläge getrieben, bis ich am 1. Mai 1872 nach Bochum übersiedelte, wo ich die Bergschule nach bestandener Aufnahmeprüfung besuchte. Bis zum Beginn der Sommerferien hatte ich auf Zeche Friederika im Eisensteinflöz ein Überhauen aufgebrochen. Während der Ferien arbeitete ich wieder auf Zeche Johann, wurde aber schon im August 1872 zum Fahrhauer ernannt und musste in der Nachmittagsschicht die belegten Betriebspunkte anfahren, auch eventl. die Fördermaschine bedienen, wenn nötig.

So ging nun die Zeit hin. Mein Vater, der sich in dem kalten Wasser in Dienst der Zeche Johann dreimal eine Lungenentzündung zugezogen, musste seinen Dienst als Steiger aufgeben und starb schon am 4. Jan.74. Inzwischen war ich schon Steiger geworden und teufte den neuen Schacht der Zeche Johann ab, nebenbei einen Wetterschacht im Eickenscheider Feld und einen Schürfschacht auf Flöz Finefrau.

Ich musste nun vormittags zur Bergschule und von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens im Schacht tätig sein; meine Schularbeiten größtenteils sonntags machen, so dass ich dem Ende der Schule sehr gern entgegensah. Nun hatte aber der Bergschuldirektor Dr. Schultz noch etwas Besonderes mit mir vor: ich sollte die Oberklasse absolvieren, also nochmals 1 ½ Jahr den ganzen Tag zur Schule gehen. Auf meine Ausflüchte, ich hätte keine Mittel dafür, wurde mir gesagt: „Dafür würde gesorgt“, ich hätte schon eine Steigerstelle angetreten, „das könne rückgängig gemacht werden“, ich möchte auch heiraten, „ob das denn nicht noch warten könne“. Schließlich bat ich um Bedenkzeit.

Ich besprach diese Angelgenheit mit dem Betriebsführer Cappenberg, der riet mir direkt davon ab, die Oberklasse habe keinen Wert für mich. Später gewann ich die Einsicht, dass Cappenberg mich nur für die Zeche Johann behalten wollte, da war es zu spät und ich habe die schönste Direktorstelle dadurch nicht bekommen, welche meine Schulkollegen, die den Kursus der Oberklasse absolvierten, ohne Ausnahme innegehabt. Ich ging dann schon am 15. Mai 1875 nach Zeche Ewald, wohin ich durch Herrn Ewald Hilger in Essen auf Grund meiner sehr guten Bergschulzeugnisse engagiert wurde. Hier war ich indessen nur ¾ Jahr, weil der Nachfolger von Herrn Betriebsführer Wecks Geck hieß und ein Geck war.

Ich trat auf Zeche Pluto am 1. Mai 1876 als Steiger in Dienst. Geheiratet hatte ich am 9. Mai 1874 und zwar meine Jugendliebe Louise Höffken, mit der ich an ein- und demselben Tage in Steele konfirmiert worden war. Durch einen Fall bei Schnee und Eis kam sie am 23. Dezember 1874 (ca. 2 Monate zu früh) nieder mit Zwillingen, 2 Mädchen, welche aber nach 16 Stunden bzw. nach 3 Tagen starben. Dafür kam am 5. Dez. 1875 ein junger Sohn, Fritz an.

Auf der Zeche Pluto unter Bergrat Barth (Betriebsführer Lohbeck) hatte ich ein ausgedehntes Steigerrevier, schon zeitweise 23 Bremsberge in 10 – 13 Flöze in Betrieb (allerdings 2 Fahrhauer bei mir). Nun trat die schlechte Konjunktur ein, so dass beim sparsamsten Betrieb nichts verdient werden konnte, weil die Kohlen keinen Wert mehr hatten. Die Hauer mussten mit Harken (Rechen) die Stücke und Knabbeln herausharken, der Grus blieb in der Grube liegen und durfte nicht gefördert werden. In dieser Zeit habe ich oft tagelang Holz wiedergewonnen aus Pfeilern und abgeworfenen Begleitstrecken ect., so dass ich im Jahre 1878 schon mal 6 Mk Holzkosten im Monat hatte bei einer Förderung von 150 000 Zentnern. Als nun die Zeit etwas besser wurde und ich die Kohlen sehr billig förderte, stieg ich beim Bergrat Barth bis zur Nr. 1.

Inzwischen hatten wir am 29 Januar 1880 vier Kinder, 3 Knaben und 1 Mädchen, während ein Knabe noch tot geboren war im November 1881. Meine Mutter war im Jahre 1880 mit meinem jüngsten Bruder bei uns, zog aber, als meine Schwester Mine im Januar 1880 gestorben, zu meinem Schwager Fr. Scheffel und pflegte ihr mutterloses Enkelkind.

Auf den patriotischen Festlichkeiten musste ich stets beim Bergrat sitzen und - singen – singen – singen.

Da traf nun ein schweres Unglück am 10 Mai 1882 – eine schreckliche Kohlenstaub-Explosion im Flöze 8 Norden der III. Tiefbausohle, raffte 65 Menschenleben hinweg und verschiedene Verwundete. Bei den Rettungsarbeiten war ich von Anfang bis zu Ende an der Spitze. Ich saß am 10. Mai mit einigen Kollegen bei Nagel und feierte den Geburtstag meiner Frau beim Glase Bier. So gegen 9 Uhr kommt der Befehl des Betriebsführers: „Ich möchte sofort zur Zeche kommen“. Im Flur erfuhr ich, dass auf der Zeche etwas passiert sei. Als ich dort ankam, sagte der Betriebsführer zu mir: “Ziehen Sie sich mal rasch um.“ Auf meine Frage: „Was ist denn losß“ erhielt ich die Antwort: „Ich weiß es nicht“. Als ich in Grubenkleidung an den Schacht kam, brachte man den alten Zimmerhauer Walther heraus, total verbrannt. Der Betriebsführer und ich fuhren zunächst zur II. Tiefbausohle, wo ein dicker, schwarzer Rauch aus dem nördlichen Hauptquerschlag uns entgegenschlug. Auf meinen Ausruf: „Was dahinter liegt, ist tot“ zogen wir uns zurück und Herr Lohbeck sagte zu mir: „Gehen Sie in den Süden und sehen zu, was zu retten ist.“ Nach Süden war nur die erste Wolke der Explosion über das Füllort geschlagen, der nachher wieder die frische Luft vom Schacht folgte, so dass ich erst an Flöz 11 Süden den Qualm zu spüren bekam. Einzelne Arbeiter, welche erbrochen hatten, lud ich mit Hilfe zweier aufgegabelter Arbeiter in Wagen, schickte andere durch die Betriebe aufwärts und ließ ansagen: „Alles herunterkommen“, was denn auch bald geschah. Als ich mit der südlichen Belegschaft an den Schacht kam, fuhr ich herunter zur III. Tiefbausohle, auf welcher die Explosion furchtbar verheerend gewirkt, aber die Luft, welche hier frisch vom Tage einfiel, ganz rein und klar war. Hier trat ich Herrn Lohbeck wieder, der gleich , als ich nach Süden gegangen, heruntergefahren war. Mein Kollege Hanebeck war unterdessen von der I. Tiefbausohle heruntergefahren und leitete hier die Rettungsarbeiten: jedoch wurde hier nur 1 Lebender aus Flöz 8 gebracht, ein Kohlenwerfer Vornbaum, welcher bei der Explosion aus einem Durchhieb in das Überhauen gestürtzt und mit dem Kopf in die feinen Kohlen geraten war, so dass er zwar beinahe erstickt, jedoch von den giftigen Gasen verschont geblieben war. Herr Lohbeck gab mir nun den Auftrag, zur II. Tiefbausohle und nach Westen zu gehen, wo die abziehenden Gase ihren Weg nahmen und den Steiger Schulten mit seinen Leuten u. Fahrhauer vergifteten (nur wenige hatten sich retten können).

Als ich hier ankam, waren neue Rettungsmannschaften vom Tage eingefahren und traf ich hier zuverlässige Leute, über die ich disponieren konnte. Aus den westlichen Kohlenstrecken Flöz 8 im Norden holten wir noch 2 Tote und wollten jetzt nach Süden, um im Revier Schulten zu retten – da kam uns schon der Revierbeamte Bergrat Boegehold entgegen mit dem Steiger Hagemann, welcher nach uns eingefahren und sich eine gehörige Nase voll geholt hatte. Am Schachte angekommen (es mochte gegen 4 Uhr morgens sein) war Herr Lohbeck, welcher zu Tage gewesen, mit neuen Rettungsmannschaften wieder angefahren und sagte zu mir: „Jetzt solle ich erst mal mit ausfahren“, was ich denn auch tat, als ich merkte, dass ich mir die rechte Ferse wundgelaufen. Über Tage groß Geschrei, so dass ich, nachdem ich eine Tasse Kaffee getrunken, wieder einfuhr und Steiger Hugo sein Revier nach Toten und Verletzten absuchte. Mit dieser Arbeit gingen 2 Tage hin und immer noch fehlten uns welche; am 5. Tage nach dem Unglück fand ich die letzten beiden Verschütteten (man konnte sie jetzt riechen).

Nun kamen die Neugierigen, größtenteils Kollegen und saßen dann wohl 1 Stündchen mit uns zusammen, so auch Betriebsführer Himmler von Zeche Eintracht und Betriebsführer Hundt von Zeche Charlotte. Denen erzählte Herr Lohbeck, wie er die Nachricht bekommen, sofort eingefahren sei, und die Strecken befahren, über Brüche gekrochen usw. Auf die Frage des Himmler „Warst Du denn da allein, Wilhelm?“ antwortete Lohbeck: „Da war ich allein“.

Der Steiger Huge, dessen Revier durch die Explosion total verwüstet, wurde krank und ich musste die Aufwaltigung der Betriebe leiten. Am 1. Juni wurde ich nun zum Fahrsteiger und stellvertr. Betriebsführer ernannt und musste vorwiegend in der Nachmittagsschicht die Betriebe befahren, geriet aber dadurch in eine recht schiefe Stellung. Ordnete ich irgendetwas an, so passte das Herrn Lohbeck nicht, unterließ ich das, so war ich nicht energisch genug und den Kollegen gegenüber zu nachsichtig, so dass ich mich schon um eine andere Stelle umgesehen. Da ging der Betriebsführer Neuhaus vom Schacht Wilhelm ab und der Bergrat ernannte mich an dessen Stelle zum Betriebsführer des Schachtes Wilhelm.

So zog ich denn am 1. Juni 1885 nach Schacht Wilhelm und hatte hier auf dem total verlodderten Pütt ein recht böses Jahr. Jeden Sonn- und Feiertag nicht aus der Grubenkleidung, alle denkbaren Reparaturen an Maschinen, Wäsche etc. musste ich selbst leiten; kein Maschinensteiger, kein Steiger, der eine Ahnung von Maschinen hatte, so dass ich hier „Mädchen für alles“ war. Zum Überfluss noch allerhand Spitzbuben über Tage und die Grube derart verkommen, wie ich noch keine gesehen. Von einer geräumigen Wetterstrecke war nirgend die Rede, man hatte sogar stellenweise die Berge darin verpackt. In der II. Tiefbausohle stand man mit den Ausrichtungsbetrieben - im Osten wie im Westen - bis in die 5. Abteilungsquerschläge und hatte im Westen in der 3. und im Osten in der 4. Abtl. noch keine Durchschläge mit der Wetter- bzw. I. Bausohle. Zunächst warf ich nun im Westen die I. Bausohle ab und führte die Durchschläge mit der Wettersohle schleunigst aus. Im Osten, wo der Mergel etwa 20 m über der I. Bausohle die Flöze abschnitt, war die Wettersohle schon abgeworfen. Als nun soweit alles kunstgerecht zugeschnitten und der Betrieb anfing lohnend zu werden, stellte ich den Antrag, abteufen zu dürfen, damit ich die nächste Sohle aus- und vorrichten konnte. O Weh! Nun war kein Geld da, das war schon eine alte Krankheit, als ich als Steiger auf Schacht Thies mal den Vorschlag machte, im Osten einen Querschlag nach Norden zu treiben, wurde der vom Bergrat mit den Worten abgelehnt, wir haben kein Geld, Versuchs-Querschläge zu treiben. Welch ein Jammer! Später hatten wir daselbst die schönsten Aufschlüsse, so auch nach Süden hin.

Der Bergrat meinte, wenn wir jetzt schon wieder „Abteufen“ müssten, könnte es sein, dass man den Schacht still legte. Auf meine Entgegnung: Wenn wir jetzt nicht abteuften, müssten wir nach 3 Jahren die Förderung sowieso einstellen, dann wollte ich mich schon lieber nach einer anderen Stellung umsehen – was ich schon mal getan – ich konnte schon 1886 nach Wolfsbank und Neuwefel kommen, ging aber nicht hin, weil die Grube damals noch trübere Aussichten bot. Jetzt kam der Bergrat ins Nachdenken und nach einer Verwaltungsratssitzung eröffnete er mir, dass ich jetzt abteufen dürfe. Aber, wer soll das machen? Von der I. zur II. Tiefbausohle hatte es der Wirt Nehring gemacht, der aber nicht mehr davon verstand wie der derzeitige Betriebsführer Kotsterwall. Als ich dem Bergrat sagte: „Das machen wir selbst“, fragte er: „Haben Sie denn Leute dafür?“ sagte ich ihm: „Herr Bergrat, es hat schon geknallt auf der Schachtsohle, ich wusste ja, dass wir abteuften“. Darauf er: „Wie lange dauerts, bis Sie die neue Sohle ansetzen können?“ ich: „½ Jahr“, hatte aber in 3 Monaten das Ziel erreicht, und forcierte das Ausmauern, Füllörter, Querschläge etc. derart, dass ich schon nach einem weiteren Jahre 300 m nördlich vom Schacht einen Durchschlag mit einem Abhauen Flöz 3 Norden hatte. Nun ging es an die weitere Aus- und Vorrichtung – durch Abhauen von der II. Tiefbausohle die Durchschläge mit der III. Tiefbausohle vorbereitend – so dass wir im Jahre 1888 schon eine nennenswerte Förderung aus der III. Tiefbausohle hatten. Über Tage hatten die nötigen Arbeiten unterdessen ihren Fortgang genommen. Die alte Wäsche arbeitete ich für eine größere Leistung um, setzte die Setzkasten der Feinkornwäsche tiefer, um die Zuführung der Feinkornmassen zu erleichtern., welche sonst aus den Siebtrommeln nicht Fall genug hatte und erntete vom Bergrat das Lob, in einem Jahre mehr verbessert zu haben, als alle Maschinen-Ingenieure in mehreren Jahren verhunzt hätten.

Aber mit dem fortschreitenden Abbau in der II. Tiefbausohle wurde auch die Fläche der Bodensenkung über Tage immer größer, so dass der Dorneburger Mühlenbach schon einen bedeutenden See bildete, woraus die schönsten und schwersten Hechte, Schleie, Rotaugen, Aale etc. in Massen gefangen wurden. Jedoch waren die angrenzenden Grundbesitzer mit unserem schönen Fischteich wenig einverstanden, wenngleich ihnen die schöne Schlittenbahn im Winter sehr ansprach, sondern erklärten das „stillstehende“ Wasser für gesundheitsgefährlich und die vielen Klagen führten die Behörden dahin, uns die „Trockenlegung“ der Senkung aufzubürden.

Nun wurden die zu bewältigenden Niederschläge festgestellt durch den Wasserbau-Inspektor Brense aus Münster und hiernach die heikle Frage in Angriff genommen. Also zuerst einen Senkschacht am Bache niederbringen, von diesem aus das Dorneburger Bachbett vertiefen, dann von diesem Tiefgraben aus in gleicher und westlicher Richtung den Hauptsammelgraben ausheben, um dem Senkschacht durch tiefe Gräben die Wassermassen zuzuführen, woraus diese dann durch inzwischen eingebaute Pulsometer in ein hölzernes Gefluder zu pumpen, welches gleichzeitig den Dorneburger Mühlenbach aufnahm und über die Senkung hinweg – auf Pfählen ruhend – hinwegführte. All die vorgenannten Arbeiten hatte ich mit Zechenarbeitern ausgeführt. Nur der tiefe Entwässerungsgraben sollte von dem Unternehmer Michels ausgeführt werden. Bis an die Bahn nach „Unser Fritz“ ging alles glatt vonstatten bis zu 1 m Tiefe durch den bösesten Fließsand, an der Bahn aber wollte der Michels die Verantwortung für 1000 und mehr Mark nicht übernehmen.

Was nun? Ja, dann mache ich diese Arbeit mit meinen Schachthauern und Pionieren! „Aber, sind Sie Ihrer Sache auch sicher?“ fragte der Bergrat. Ich antwortete: „Dass ich die Bahn nicht still lege, dafür komme ich mit meinem Worte auf, mehr kann ich nicht.“ Ich ließ also den Oberbau durch 18 m lange Goliath-Schienen abfangen und durchschnitt den ca. 6 m hohen Bahnwall auf 1 m Breite von oben bis unten – in der Sohle 27 cm breit – die Wandungen mit vorgetriebener Pfändung abgefangen und im „Fließ“ wasserdicht abgetrieben. Als die letzte Arbeit, das Einbauen der 600 mm Rohre und das Zuwerfen begonnen, besah sich auch der Bergrat die Arbeit. Ich musste ihm eine Skizze davon machen und er sagte, ich solle den Leuten 1 Glas Bier geben lassen. Ich sagte ihm: „Die Leute, die alle sozusagen 3 Tage und 3 Nächte von oben und unten im Regen und Wasser gestanden, hätte ich schon verschiedene Ltr. Schnaps gegeben und nach fertiger Arbeit satt Bier versprochen, womit er dann auch zufrieden war. Als ich am Tage vor Weihnachten, zu Hause sitzend, vom Bergrat ein Kistchen geschickt erhielt, worin ich zuerst eine Sendung ausgeklaubter Berge von irgend einem lügnerischen Kaufmann vermutete, staunte ich, ein Weihnachtsgeschenk vom Bergrat darin zu finden in Gestalt eines Bierglases mit dem eingravierten Datum: 17. Okt. 1888. Haha! Also ich bekam ein Bierglas für das übernommene Risiko, welches der Unternehmer für 1000 Mk nicht übernehmen wollte.

Wir hatten die Senkung bald trocken gelegt und auf und in der Grube war unterdessen alles „im Lot“. Privatim hatte ich nach außen hin als Gemeindeverordneter und Vorstandsmitglied im Kriegerverein, sowie Kirchenrepräsentant vielerlei Nebenämter, auch einem Gesangsverein musste ich angehören. Aber am meisten nahm einen doch der Kriegerverein Bickern-Crange unter dem Vorsitz des Dr. Paul Meißner in Anspruch. Unter dessen Leitung war der Verein auch wirklich der echte Hort der deutschen Kameradschaft und manchen humoristischen Beitrag zur „Bierzeitung“ habe auch ich geliefert. Mit der Zeit hatte ich die Schachtanlage Wilhelm der Zeche Pluto sauber in Ordnung, die Förderung stetig steigend, so dass auch der Bergrat Barth wiederholt seine Zufriedenheit zum Ausdruck brachte und ich ein angenehmes Leben führen konnte; wenn auch das Gehalt nur 300 Mk betrug, so brachte doch der Garten, Feldland, Hühner, Enten, Schweine etc. dem Haushalt das Nötigste zu, so dass wir mit dem „Sparen“ beginnen konnten.

Da brach am 1. Mai 1889 der erste große Bergarbeiterstreik herein, der auch Schacht Wilhelm in Mitleidenschaft zog. Als der Bergrat – an einem Montagabend – nach Schacht Wilhelm kam und mir eröffnete, dass Militär zum Schutze der Anlagen im Anmarsch sei, hätte ich bald gelacht. Aber nachher wurde die Sache doch etwas ernster, so dass auch ich den Zugführer, Herrn Leutnant Löffler ersuchen musste, den Platz zu säubern, was keine 10 Minuten in Anspruch nahm. Bei uns verlief der Streik harmlos und ebbte schon nach 14 Tagen ab, während es an anderen Stellen nicht so angenehm verlief.

Nach Beendigung des Streiks stellte ich den Antrag, einen Maschinensteiger einzustellen, was mir überlassen wurde und ich wählte dazu den Fördermaschinisten Diedrich Schulte. Ich hatte nun schon Haverkamp und Klüsener zum Steiger gemacht, Flaßkamp und Spiekermann zu Kontrolleuren, einige Fahrhauer ernannt und hatte im Großen und Ganzen keinen Fehlgriff getan; aber der Maschinensteiger Schulte war eigentlich etwas zu dumm, gab sich aber, wie ich später erfuhr, hinter meinem Rücken, als eine lügenhafte Prahlbüchse.

Ich legte es nun schon darauf an weiter abzuteufen, um die Fettkohlen aufzuschließen, ehe die Gaskohlenflöze verhauen waren. Das gab ja erst große Auseinandersetzungen, aber da wir gute Geschäfte machten, wurde auch das wieder genehmigt. Das Abteufen ging glatt von statten und als ich die IV. Tiefbausohle angesetzt, ließ ich das Abteufen fortsetzen, um später, wenn über der IV. Tiefbausohle keine bauwürdige Kohlenhöhe anstand, wenigstens über der V. Tiefbausohle solche in den Fettkohlen zu haben. Da ging im Sommer 1889 der Bergrat in die Schweiz und kam, nach einem erlittenen Schlagfluß totkrank zurück. Im November erlag er der Krankheit..

Herr Lohbeck und ich wurden nun jeder für seine Schachtanlage durch den Vorsitzenden Herrn Stöcker besonders verpflichtet, aber im Laufe eines Jahres wurde Lohbeck zum technischen und Erdmann zum kaufmännischen Direktor ernannt. Unterdessen brannte mir am 8. August 92 die Wäsche, Schachtturm und Verladung nieder, wobei nahezu 5 Mann, oben im Schachtturm sitzend, ihr Leben eingebüßt hätten. Als ich nun alles wieder ziemlich in Ordnung und die neue Wäsche beinahe fertig hatte, wurde ich vor die Frage gestellt: „An Lohbecks Stelle nach Schacht Thies gehen oder auf Schacht Wilhelm zu bleiben“. Auf meine Frage: „wenn ich nach Schacht Thies ginge, wer dann in meine Stellung rücke?“ erwiderte Herr Lohbeck: dann kommt Kracht nach Schacht Wilhelm und sonst kommt nach Schacht Thies ein „Neuer“, weil ich den Kracht dort nicht über Hanebeck stellen kann. Da wusste ich, wie ich zu wählen hatte. (Kracht war nämlich durch seinen Onkel in die Verwandtschft Lohbecks geraten.) Jetzt konnte sich Kracht in ein fertiges Bett legen, denn ich hatte in der III. Tiefbausohle in den Gaskohlenflözen 5 Bremsberge bis zur II. Tiefbausohle betriebsfähig fertig stehen, die Wagen auf den Wechseln, aber keinen Mann drin. Ich durfte nämlich nicht zu viel fördern, sonst erreichte meine Tantieme die des Herrn Lohbeck, weil wir nach der Förderung unserer Anlagen darin teilten und dann hätte ich schwer vorbeigehauen. Aber als Lohbeck mal einen Überblick über den Stand des Schachtes Wilhelm hatte, da wurden alle leerstehenden Betriebe belegt und darauf losgebullert. Na, Kracht hat den Schacht Wilhelm, so lange ich noch auf Pluto war, nicht weiter abzuteufen brauchen, auch sein Nachfolger nicht. Ich aber musste auf Schacht Thies schon bald weiter abteufen, dann den großen Schacht VI niederbringen und Schacht Thies noch um eine Sohle tiefer bringen bis zur VI. Tiefbausohle (VII. Sohle genannt). Nebenbei wurde auf der Anlage Thies die im Neubau begriffene Wäsche fertiggestellt und später noch eine große Wäsche mit vielen Trockentürmen gebaut, abgesehen von der Kettenbahn zur Halde und der hydraulischen Wasserhaltung.

Hatte ich nun auf dem Schacht Wilhelm mit Grubenbränden wenig zu tun gehabt, so war auf Schacht Thies in dieser Hinsicht der Deuwel an allen Ecken los. Flöz 8 und 11 Norden brannten an allen Ecken und Enden, Flöz 8 sogar am Hauptschacht, so dass ich besondere Löscheinrichtungen einbauen und starke, luftdichte Mauern herstellen lassen musste, um die Gefahr einzudämmen. Der Betrieb wurde nun immer größer, so dass ich nachher 12 Reviere hatte und hierzu 4 Fahr-, 1 Wetter-, 12 Revier-, 12 Hilfs-, 1 Schacht- und 4 Nachtsteiger – ohne Fahrhauer etc. - hatte. Aber das Schöne hatte ich hinter mir. Lohbeck und Erdmann vertrugen sich nicht, denn jeder wollte die Oberhand haben und darunter müssen andere leiden.

Zunächst gönnte Erdmann mir mein mittlerweile erworbenes Eigentum nicht, worüber ich mit ihm eine derbe Auseinandersetzung hatte – er hat es mir später reichlich in die Suppe gebrockt. Dann wurde Lohbeck etwas sehr von sich eingenommen, was sich aber bald legte, nachdem seine Frau verunglückt war, später aber zeitweise wieder zum Durchbruch kam. Trotz aller Versprechungen hat mein Gehalt auf Schacht Thies nie die Höhe gehabt, die Herr Lohbeck seines gehabt.

Die vielen Streiks 1893, 1895, verschiedene Putsche und 1905 verliefen für uns ungefährlich, denn ich hatte bei der Gesamtbelegschaft eine gute „Nr“. Als unterdessen die Zeche an den Schalker Gruben- und Hüttenverein übergegangen war, hatten unsere Direktoren nichts mehr zu befehlen und ein Glück war es für alle Beamten und Angestellten, dass die Gelsenkirchener Bergw.-Aktiengesellschaft das Ganze schluckte. Unter der Oberleitung des Geh. Kommerzienrates Kirdorf kam der „Bergmann“ wieder zur Geltung.

Am 2. Febr. 1897 feierte Lohbeck sein 25jähriges Jubiläum, wofür ich den techn. Beamtengesangverein von Pluto mobil machte, außerdem schenkte wir ihm einen massiv silbernen Wagen von 1200 Mk, und ein Album von 200 Mk, ohne die Kosten der Photographien. Als aber Hanebeck und ich 25 Jahre auf Pluto waren (1901, 1.3. und 1.5.), da wurden keine Jubiläums mehr gefeiert. Lohbeck hatte außerdem 15000 Mk erhalten, ich erhielt 1500 Mk und Hanebeck 1000 Mk als Geschenk. Die Beamten hatten mir eine goldene Uhr zugedacht, die ich aber zurückwies.

Da nun die Jubelfeier für Lohbeck „ohne Fackelzug“ nach seines Sohnes Willy Meinung gar nichts bedeutete, so musste ich auch diesen in die Wege leiten. Auch das führte ich in noch nie dagewesener Weise aus. Zu Lohbecks 50jährigem Bergmann-Jubiläum hatte ich auch wieder die Vorbereitungen in die Hand genommen. Da aber kein Fackelzug dabei vorgesehen, wusste Lohbeck die gedachte Festlichkeit zu hintertreiben, so dass sie unterblieb. Auch bei der Hochzeit seiner Töchter, namentlich seiner jüngsten „Hedwig“ musste ich wieder für das brillante Feuerwerk sorgen zum Polterabend.

Unterdessen musste ich den größten und neuesten Schacht – bei Brennholt – festlegen, sogar die Versuchsbohrlöcher niederbringen, den Schneidschuh und eisernen Senkschacht zeichnen, wonach die Lage hergestellt wurde, bedankte mich aber für die Oberleitung, so dass ein Unternehmer das Abteufen bewirkte. Der hatte sich aber nach einigen Monaten die Nase voll geholt und als sein Nachfolger auch nicht mehr konnte, erhielt Hanebeck das Abteufen als Betriebsführer.

Unterdessen sollte im Jahre 1906 ein Inspektor eingestellt werden. Auf Veranlassung von Lohbeck meldete ich mich beim Generaldirektor für diese Stellung, erhielt aber einen zwar recht schön gehaltenen Brief, in welchem ich als zu alt geschildert für diesen Posten. Das war für mich ein Zeichen, dass ich zum Betriebsführer auch zu alt sei und legte am 30. Juni 1907 meinen Posten nieder, obwohl der Inspektor König mich bat, zu bleiben. Letzterer wohnte in meinem Hause, bis seine Villa fertig. Ich zog nun am 29. Juni 1907 in mein eigenes Haus. Da aber die Zeche mein Haus unterdessen gemietet, um es innerhalb von 5 Jahren zu kaufen, musste ich ausziehen und bezog die Villa Rademacher an der Heinrichstr. in Röhlinghausen.

Am 22. Juni 1910 übernahm die Zeche meine Besitzung und ich zog nach Godesberg, Brunnen-Allee Nr, 25, wo ich 2 Jahre wohnte. Dann kaufte ich das Haus Annabergerstr. Nr. 15, wo wir bis 1918 hausten und verzog dann nach Leutenberg, Kurzbachstr. 161, welche Besitzung ich käuflich erworben, als ich in Godesberg verkaufte – weil es mir mit unserem „großen Sieg“ schien brenzlich zu werden.

Lohbeck wohnte, nach seinem Abgang von Pluto 1907, in Düsseldorf, Lindenbaumstr. 4 bis zu seinem Tode. Ich habe ihn dort einmal besucht und war dann, mit Frau, zu seiner Beerdigung dort.

Wenn ich nun hiermit schließe, so heisst das nicht, dass ich meine ganzen Erlebnisse niedergeschrieben, sondern nur die nächstliegenden. Meine schönsten Lebensjahre waren: meine Dienstjahre, meine Bergschulzeit, während welcher ich mit meinem jetzigen treuen Mütterchen einen regen Verkehr unterhielt, dann die ersten Ehejahre mit den lieben Kleinen und später die Zeit auf Schacht Wilhelm unter Bergrat Barth. Auch in Godesberg verlebten wir schöne 8 Jahre, welche aber durch den Verlust unseres Sohnes Otto 3. Dezbr. 1914 sehr getrübt wurden. Hier in Leutenberg mussten wir uns unter mancherlei bitterer Entbehrungen schlecht und recht durchschlagen. Ich wurde im Winter 1919/20 so schlapp, dass ich mich auf die große Abreise gefasst machte."

Johann Friedrich August Baumann starb am 8. Juli 1920


Erstellt: 23.02.2007, letzte Änderung: 20.05.2007